Montag, 22. April 2013

Francavilla di Sicilia nach Zafferana

Dicke Regenwolken hingen über den Bergen, das bedeutete nichts Gutes. Immerhin, während des Fühstücks, das war die einzige Zeit des Tages, in der es nicht regnete. Ich hatte ja eine ordentliche Strecke vor mir, deshalb saß ich schon um 7:30 Uhr zusammen mit einer englischen Reisewandergruppe im Speisesaal und freute mich nach einem Kaffee noch über 2 Kakaos.
Bis ich meine Sachen dann gepackt und die 2 Stockwerke runtergetragen und ans Rad gehängt hatte, verging eine Zeit, so dass ich erst um 9 Uhr loskam, schon ein wenig spät.
Gleich von Beginn an regnete es, allerdings war mal rechts oder links ein etwas helleres Wolkengebilde zu sehen, so dass ich die Hoffnung hatte, dass es wie gestern irgendwann aufhören würde. Die Strasse stieg stetig bergan bis Castiglione di Sicilia und auch danach noch, bis ich nach 1 1/2 Stunden bei der ersten Abfahrt plötzlich merkte, dass das Vorderrad merkwürdig herumeierte. Ungleiche Beladung, dachte ich, aber schon wenige hundert Meter später war das Malheur perfekt: eine Platte! Nichts zum Unterstellen, bei strömendem Regen, und natürlich alle notwendigen Teile in sämtlichen Taschen verstreut. War es in Marokko noch der Hinterreifen mit einem Durchschlag auf Felsen, war es diesmal der Reifen vorne. Tiefere Pfützen gab es genug, die Luft kam am Ventil raus. Also Mantel ab, aber da war nichts zu erkennen; den alten Schlauch noch einmal aufgepumpt, und siehe da, etwa 30 cm neben dem Ventil ein kleines Loch im Schlauch. Da der Mantel keinen Fremdkörper enthielt und auch sonst unversehrt schien, war es wohl ein Sandkorn o.ä., was den Schlauch perforiert hat. Das ist der Nachteil, wenn - wie in Marokko beim Rückflug geschehen - die Luft in den Reifen komplett abgelassen wird. In Nullkommanichts sitzt ein Fremdkörper zwischen Mantel und Schlauch und reibt letzteren kaputt. Nach  1 1/4 Stunden war ich dann wieder unterwegs und brauchte in Linguaglossa erst mal einen Kaffee und etwas Süßes zum Aufwärmen und Trocknen. Als ich später wieder ging, hatte sich unter meinem Tisch ein kleiner See gebildet, so naß war ich.
12:30 Uhr war natürich viel zu spät für die angedachte Tour mit erst mal 850 m hoch zum Refugio Brunek und dann ein Offroad-Weg noch einmal 500 m hoch zum Refugio Sapienza, meinem Tagesziel. Besonders die Aussicht auf Gitterüberquerungen der Forstverwaltung und das Tragen des Rads über einige Lavafelder bei strömendem Regen brachten mich zu dem Entschluss, stattdessen auf einer kleinen Strasse östlich über Milo nach Zafferana zu fahren und dann von dort aus die 1300 Höhenmeter zum Refugio Sapienza in Angriff zu nehmen. Beim Losfahren ließ ich dann wohl eines der beiden Schlösser liegen. Die kleine Strasse ging an den Lavahängen des Ätna vorbei immer aufwärts und streifte viele Weingüter. Nach einiger Zeit kamen die ersten Schilder, dass Zweiradfahren auf dieser Strasse bei Vulkanaktivitäten verboten sei. Und kurz danach lag dann auch schon die Vulkanasche und kleinere Lavabröckchen bis zu Walnussgröße auf der Strasse und einfach überall, Resultat des heftigen Ausbruchs von vorgestern. Zwischen Formazzo und Milo lag die Asche dann schon 5 cm hoch, und wegen des Gefälles und des starken Regens schob das Wasser die schwarzen Bröckchen hin und her und es wurde immer schwieriger mit dem Rad. Die Kanalisation, falls es die hier jemals gegeben hat, war natürlich dadurch außer Funktion gesetzt, und die italienischen Autofahrer hatten ganz offensichtlich einen Heidenspaß daran, mit Vollgas in die oft 20 m langen Wasserlaachen zu fahren und rechts und links möglichst hohe Wasserfontänen zu erzeugen. Als Radfahrer hatte man hier echt die A..karte  gezogen, das schien manche Möchtegern-Schumis noch geradezu anzumachen. Bei größeren Wassermassen konnte ich nur noch vorbei, wenn keine Autos kamen.
Als die erste Abfahrt kam, gingen meine Bremsen nicht mehr. Die Bremsbeläge waren durch die Lavasteinchen innerhalb von kürzester Zeit komplett abgeschmirgelt worden! Unter einem Balkon stellte ich die Dinger nach, damit ich wenigstens noch bremsen konnte, aber jetzt schleift Metall auf Metall. Ich hoffe, das geht noch bis Catania. Überhaupt diese Asche: sie sitzt überall, auf den Taschen, der Kleidung, dem Rad, und irgendwie sieht es hier in den Dörfern aus wie in der Fabrik, auch wenn manche Hausbesitzer die Asche vor ihrem Haus schön säuberlich zu einem großen Berg aufgeschaufelt haben. Um 3 Uhr kam ich endlich in Zafferana an, bei 13°C Temperatur und Dauerregen. Alles an mir war nass, ich fror, und die Aussicht, noch weitere 1300m nach oben radeln zu müssen, um dann dort oben bei 4°C Höchsttemperatur den nächsten Kälteschock zu bekommen, führten zu dem Entschluss, dem Ätna, den ich während der ganzen Zeit noch nicht einmal zu Gesicht bekommen habe, den Rücken zu kehren und mich wieder an die Küste zu begeben. Als ich in Zafferana ein B&B fand, schlug ich zu und stellte mich gleich unter die heiße Dusche. Zafferana wurde beim Ausbruch des Ätna 1991 besonders bekannt, als der Lavastrom auf den Ort zukam und sich auch durch künstliche Wälle und Dynamit nicht aufhalten ließ. Kurz vor den ersten Häusern stoppte der Lavafluss wie durch Gotteshand, und danach gab es einige Kirchgänger mehr. Wenn man bedenkt, dass die etwa 7500 Bewohner fast jedes Jahrzehnt wieder vor derselben Katastrophe stehen, ist es umso verwunderlicher, dass sie hier ausharren. Baden im Meer und Skifahren vor der Haustür, dazu ein guter Wein und eine herrliche Natur, da treibt einen so schnell keiner weg.
Ich bin wirklich froh, hier nicht einen auf Rambo gemacht zu haben. Stellt euch mal vor, ich wäre mit meinen nassen Sachen noch hoch gekommen, und dann hätte es da keine Heizung gegeben. Und am nächsten Tag wäre ich in den nassen Klamotten und nassen Lederstiefeln auf 3000 m hoch gefahren, wo es selbst tagsüber nur -4°C Höchsttemperatur und jede Menge Schnee hat! Ich hätte es ja keine Viertelstunde ausgehalten und wäre bestimmt erst mal krank geworden. Sollte es morgen früh wider Erwarten nicht regnen, sondern die Sonne scheinen, kann ich mir immer noch überlegen, die 18 km zum Refugio hochzufahren und dann die Seilbahn zu nehmen. Aber laut Wetterbericht soll man auch morgen den Ätna nicht sehen, und was soll ich dann da oben? Bin ich eben früher in Catania und kann mich um die Bremsbeläge kümmern.
Castiglione di Sicilia

das hatte ich bei dieser Reise nicht gebucht!

Zweiradverbot trotz Helm bei Vulkanaktivität


vorgestern ausgespuckt


hier hat jemand den Bürgersteig gefegt


Lavasand und Wasser schmirgeln alles ab

italienische Wasserspiele

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